Vortrag
auf der 2. Heidelberger Arbeitstagung der Internationalen Studiengemeinschaft
für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)
am 15.6.1990 über: ERSCHEINUNGSWEISEN
PRÄNATALEN UND PERINATALEN ERLEBENS IN DEN PSYCHOTHERAPEUTISCHEN
SETTINGS
GLÜCK
UND UNGLÜCK IM GEBURTS- UND VORGEBURTS-ERLEBEN
- Aktualisierung
prä- u.perinatalen Erlebens in in der Primärtherapie -
I. Blick
in ein Labyrinth
Wenn wir zum Sternenhimmel blicken
und seiner Milliarden Sonnen und Milchstraßen gewahr werden, dann
füllt uns Erstaunen und Erschrecken: In dem kleinen Sonnensystem
auf dem winzigen Planeten Erde mit seiner hauchzarten Lufthülle haben
wir Heim und Heimat.
Wenn wir in den Mikrokosmos des lebenden
Körpers mit seinen Milliarden Zellen schauen, jede ausgestattet mit
einer gigantischen, molekularen Informationsbibliothek, dann stehen wir
am Rande von Unfaßbarem. Jetzt erfahren wir, daß jede Zelle
nicht nur den starren, ererbten Bauplan des gesamten Lebewesens enthält,
sondern daß er ein riesiges, lebendiges Informationszentrum ist
zum Produzieren und Aussenden von Botschaftsmolekülen, zum Entgegennehmen
und Speichern, zum An- und Abschalten ganzer zellulärer Chemiekonzerne.
Wir ahnen: Diese Entdeckungen sind von ungeheurer, nicht absehbarer Tragweite.
Wenn wir nun einen Zugang zur Seele
dieses Körpers suchen und sein geheimnisvolles Labyrinth betreten
wollen, dann begeben wir uns in ein rätselvolles, heiliges Territorium.
Viele Gänge führen da in einen bebenden, atmenden Berg. Führt
einer auch wieder ans Tageslicht? Welche Instrumente könnten wir
für diese Reise mitnehmen außer Offenheit, Mut, Friedfertigkeit
und Respekt? Es ist kein geringes Risiko für Verirrung, Verwirrung
und und andere Gefahren.
II. Risiko und
Wagnis
1. EIN UNBEKANNTES LEBEWESEN
Meine Damen und Herren, wenn Sie und
ich uns hier auf diesem Kongreß an ein solches Ding "über die
Erscheinungswseisen perinatalen und pränatalen Erlebens" heranwagen,
dann stehe ich vor Ihnen mit Beklommenheit. Wollen wir uns nicht damit
begnügen, diesen Berg mit seinen lauten und leisen Schmerz- und Freude-Rufen
von draußen zu betrachten, dann dringen wir in die Wohnhöhle
eines unbekannten Lebewesens ein.
Die Forschung auf dem Gebiet der Biologie
mit ihren Entdeckungen der Informationsfähigkeiten bis in die Chemie
des Zellinneren ermutigt uns, zu beschreiben, was wir Praktiker der Psychotherapie
schon lange erkennen müssen: Es gibt Kommunikation von Anfang an,
und das gezeugte Menschenwesen und jedes andere Lebewesen auch ´bekommt
alles mit´-im wörtlichen Sinne-, was für seine Existenz von
Bedeutung ist.
Wenn wir die geburtliche und vorgeburtliche
Seelenwelt betreten, lassen wir die bunte Welt unserer Bilder zurück.
Wir lassen die Worte unserer Sprache zurück. Wir lassen die Kategorien
unseres Denkens zurück und betreten eine zunächst unvorstellbare
Welt.
Während wir uns dem Thema nähern,
möchte ich noch etwas zum primärtherapeutischen Verfahren sagen,
mit dem ich in der Regel arbeite.Danach werde ich von Begegnungen mit
Geburts- und Vorgeburtserleben in der primärtherapeutischen Arbeit
berichten und zum Abschluß etwas zu Lebens-Schmerz und -Lust sagen.
2. PRIMÄRTHERAPIE
Arthur Janov nannte die Therapieform,
die er in den Büchern "Der Urschrei", "Frühe Prägungen"u.a.,
beschreibt, Primärtherapie. Sie orientiert sich an den primären
Erfahrungen und Gefühlen eines Menschen. Sie ist eine fühlende
Wahrnehmung und fühlender Körper-Ausdruck der Lebenskräfte
des Klienten bis in seine Anfänge von Kleinkindzeit, Geburt, Schwangerschaft
und Urbeziehung zu den Eltern.
Der Therapeut ermutigt den Klienten,
in die frühen Lebensszenen noch einmal hineinzuschlüpfen und
seinem erlebten oder auch unterdrückten Gefühlen laut und leise
mit totalem Körpereinsatz Ausdruck zu geben, womit das Wort ´Fühlen´
bei Janov eine spezielle Bedeutung hat. Dieses geschieht in einem beschützenden
therapeutischen Raum.
Besonderes Augenmerk wird auf die
Lebenszugewandtheit und Lebens-Freude bzw. deren Zwillingsbruder, den
Schmerz, gelegt, den Janov in seiner frühkindlichen Ausprägung
den "Urschmerz" nennt. Den Primär-Schmerz und die Primär-Freude
suchen der Klient und Therapeut im unterirdischen Labyrinth der Seele
als Ariadnefaden immer wieder zu finden, um sich daran im Gewirr der Millionen
symbolischen Sekundär-Gefühle zu orientieren und den Ausgang
zum Hellen zu finden.
Diese Arbeit ist ein Trauern und Abschiednehmen
von vergangenen, verlorenen Lebensgestalten und das Finden und Begrüßen
der jetzigen, realen Lebenschancen. Nur in der Offenheit und im partnerschaftlichen
Dialog Ebenbürtiger und friedvoll Hörender begegnen wir dem
Lebensatem und den Gestaltungskräften einer anderen Seele. -Fahren
wir nun fort auf unserer Reise zu Begegnungen mit Geburts- und Vorgeburtserleben.
III. Begegnungen
mit Geburts- und Vorgeburtserleben
1. EIN AUTO IN GEFAHR
Jede Nacht machen wir einen Besuch
in jenem Ursprungs land unseres Lebens. Viele Träume erzählen
vom Beginn dort. Manchmal sind sie die Reste und Wiederspiegelungen des
vergangenen Tages und seiner Besorgungen, häufig aber sind sie die
nicht erledigten Erfahrungen früherer Lebensgestalten aus Kindheit,
Geburt und vorgeburtlicher Zeit. Eine 22-Jährige berichtet über
einen schrecklichen Angst-Traum von einem Auto.
Natürlich liegt es bei ihm nahe
zu fragen: Lernt die junge Frau gerade Autofahren o.ä.? Dann wäre
die Sache erledigt. Einen anderen Hintergrund bekommt der Traum, wenn
der Therapeut weiß, daß das Motiv Angst ein Haupt-Thema der
Lebensproblematik dieser sonst sehr erfolgreichen Frau ist. Es ist für
sie ein häufig auftauchendes Thema sowohl im Tageserleben als auch
in früheren Träumen.
Tatsache in der Lebensgeschichte dieser
Frau ist, daß ihre Mutter, als sie mit ihr im 3.Schwangerschaftsmonat
auf einer Urlaubsreise war, beinahe ihr Kind verloren hätte. Blutungen
hatten eingesetzt. Der Muttermund hatte sich 25 mm geöffnet. Die
Ärzte im Krankenhaus glaubten erst an einen künstlich eingeleiteten
Abbruch, was aber nicht zutraf. Die Mutter mußte 5 Tage total liegen
und durfte sich nicht bewegen. Die Ärzte sagten, die Chance für
das Kind, es zu schaffen, sei 5%. Sie bekam Valium, alle ihre Lebensregungen
wurden ganz, ganz langsam. Die Blutung kam zum Stillstand. Das Kind wurde
dann nach 6 Monaten normaler Schwangerschaft gesund geboren.
Hier nun die wörtliche Mitschrift
des Berichts, eine bizarre Übersetzung der Angst aus archaischer
Zeit. Zitat:
"Meine jüngere Schwester war
vom Vater zu mir geschickt, um mir zu helfen: Da ist ein hoher Berg wie
ein Kegel. Er ist wie eine Pyramide, und seine Wände sind spiegelglatt.
Ganz oben auf der Plattform steht unser Auto. Nur die Reifen passen noch
auf die Plattform, so daß das Auto überguckt und es fast abrutscht.
Vater sitzt am Steuer und neben ihm meine Schwester. Mutter und ich befinden
uns draußen. Ich muß nun den Vater dirigieren, wie er fahren
soll, einmal nach vorn, einmal nach rückwärts. Es geht um Millimeter.
Ich kann es gar nicht ansehen. Es geht um Leben und Tod. Und ich habe
die volle Verantwortung und wollte und konnte es eigentlich nicht. Es
geht lange hin und her. Dann ist es geschafft. Ich habe es machen müssen.
Nichts ist passiert. Ich habe es hinter mir.
Aber da geht das Gleiche von hinten
los. Das Auto ist an einer senkrechten, glatten Wand. Nur die Vorderreifen
halten sich noch an der Plattform. Ich muß es dirigieren, so daß
es nicht zu schnell geht, alles ganz, ganz langsam. Eigentlich ist es
nicht zu schaffen. Man konnte abstürzen. Das Auto mußte total
senkrecht stehen und durfte sich nur Millimeter bewegen, sonst hätte
es sich nicht halten können. Sonst wäre es abgestürzt und
explodiert. - Und da bin ich aufgewacht."
Ich möchte dem Traum jetzt hier
nur eine Überschrift geben, wie ich sie der jungen Frau gegeben habe.
Sie lautete: "Das Leben hatte Vorfahrt vor dem Absturz - ganz, ganz langsam.
" Dann sagte ich noch: "Sie und das Auto haben es großartig gemeistert.
Herzlichen Glückwunsch !" Sie schaute mich überrascht und dankbar
an. Sie und ich wußten, daß ich sie auf ihrem gefährlichen
Berg besucht hatte. Mit dem Blick auf den guten Ausgang konnte eine Integration
des traumatischen Erlebens begonnen und fortgesetzt werden.
2. DER 'TÜRENTICK'
Ein Klient berichtet von einem
eigentümlichen Verhalten, das er selbst als ´Türen-Tick bezeichnet.
Immer wieder müsse er alle Türen -Zimmertüren und Schranktüren
- in seiner Wohnung schließen und abschließen. Viele Male
pro Tag vergewissere er sich wieder und wieder, daß jede Tür
richtig geschlossen und alle Schlösser verschlossen seien. Immer
wieder überfalle ihn diese schreckliche Unruhe. Selbst die Vergewisserung
nehme die Beunruhigung nicht weg. Das sei eine schreckliche Plage. Er
wisse nicht, warum er diesem Zwang nachgeben müsse. Wie könne
er ihn bloß loswerden?
Ich war hilflos, was dies zu bedeuten
habe. Ich sage zu ihm: "Nimm Kontakt auf mit deinem Zwang und nimm wahr,
was er für dich machen will." Nach einer Weile sprechen wir merkwürdigerweise
über die Zeit, als seine Mutter mit ihm schwanger war. Er erzählt:
"Vor mir hatte meine Mutter zwei Fehlgeburten.
Deshalb war sie während meiner Schwangerschaft in ständiger
Angst und in ärztlicher Behandlung, um mich zu behalten. Zum Schluß
hat sie im Krankenahaus gelegen."
Auf einmal sehe ich, daß
dies die Antwort auf seine Frage ist. Ich sagte: "Sollte eine Türe
geschlossen bleiben, damit es zu keiner Katastrophe käme?" Sein Gesicht
verändert sich, bekommt einen schmerzlichen Ausdruck, alles zuckt.
Er sagt: "O Gott! Hilfe! Ja, das ist es! Ich muß die Tür zuhalten,
damit es nicht zu einer Katastrophe kommt. Ich muß die Tür
zuschließen und kann es doch nicht! Wie entsetzlich! " Es folgt
eine qualvolle Stille. Nach langer Pause frage ich:"Wie ging es weiter?"
Er sagt: "Nichts ging weiter! Es ging verkehrt weiter! Es gab eine Kaiserschnitt-Geburt.
Alles blieb stehen. Mein Leben verläuft nach einem Kunstfahrplan.
Alles ist total unwirklich." Wir schweigen lange.
Ein vergangenes Lebensunglück
von Mutter und Kind ragt bis in die heutige Fühlwelt des Klienten.
Uns Außenbetrachtern ist es kaum nachvollziehbar. Die hier beschriebene
Bedrohung, die zu diesem Türen-Tick führte, hatte noch viele
andere Gestalten der Angst. - War sie nun übernommen von der Mutter?
War sie die des Fetus? War die Lebensbedrohung und der Abbruch der Schwangerschaft
durch eine Kaiserschnittgeburt darüberhinaus ein traumatischer Betrug
um das natürliche ´Weitergehen- dürfen´? - Hier in einem solchen
Raum des Fühlens ist kein Unterschied zwischen Mein und Dein, Drinnen
und Draußen, Früher und Später.
3. TODESANGST IN DER U-BAHN
Ein Klient berichtet von Entsetzen
und Panik, die ihn immer
wieder überfallen, begleitet von Schweißausbrüchen, Zittern,
Schnaufen, als ginge es um sein Leben, wann immer er mit der Straßenbahn
fährt und diese dann als U-Bahn unter die Erde verschwindet. Auch,
wenn dies akute Gefühl der Todesangst nicht da ist, ist immer ein
Gefühl bleiernen Abgestorbenseins da, ein maßloses, zorniges
Fremdsein, als wäre es ein Unrecht zu leben.
Während der Sitzung passiert
etwas Überraschendes! Wie unter massivem Widerstreben zeigen sich
Schmerzen ohne Worte, sein Körper windet sich, schlägt um sich:
ein Bündel von Elend, unsägliches Leid, dann Schreien, ein winziges
Baby. Er berichtet später von einer Geburt, die über 24 Stunden
dauerte bei der die Mutter fast stirbt, und die Ärzte das Kind am
Ende unter Narkose der Mutter und mit der Zange herauszerren; das Kind
kommt blau und leblos zur Welt und wird ins Leben zurückgeholt. Erinnerungen
an die spätere Kindheit folgen. Bis heute sucht er vergeblich Halt,
kann nichts greifen und begreifen. Alles tritt ihm mit Bedrohung entgegen,
und er selbt begegnet allen mit panischem Mißtrauen und Wut. Ich
sagte: "Du hast das Leben verflucht, bevor Du geboren wurdest."
Ist eine traumatische Geburt lebenslängliche
Prägung zum Leid? Es scheint nicht immer so zu sein. Manche Kinder
gehen anders damit um. Sie erleben sich als Sieger.
4. EIN SIEGER
Ein Werkstudent berichtet mir einen
Traum, den er als Geburtstraum bezeichnet: "Ich will irgendwo raus. Ich
muß weit weg. Aber da sind 2 Wächter. Ich nehme einen Schneidbrenner.
Mit ihm trenne ich ein Loch in die Wand. Ich bin Sieger. - Dann komme
ich an einen Durchgang: dort liegen Glassplitter. Ich räume sie weg.
Ich quetsche mich durch. - Dann komme ich an einen ´Rumpelplatz´. Ich
laufe aus Leibeskräften hinüber bis ins Dickicht." Ich sage
zu ihm: "Du bist ein Sieger? - ein Kämpfer? - ein Renner?" Er antwortet:
"Ich kämpfe gern. es. Es ist anstrengend. Aber ich siege. Ich renne
in die Welt hinaus." Ein Jahr später bekomme ich eine Postkarte von
ihm aus Thailand, wo er für ein halbes Jahr arbeitet.
5. EIN ZORNIGES MÄDCHEN
Manchmal ist das intensive Nacherleben
der Ereignisse vor oder während der Geburt eine Tür zum Leben
in der Gegenwart wie in folgendem Beispiel.
Eine Frau berichtet: "Ich weiß
nicht, was mir immer wieder mit meinem Mann passiert. Ich freue mich auf
ihn, wenn er von der Arbeit kommt. Ich stell´ mich auf ihn ein. Dann kommt
er. Er begrüßt mich freundlich. Und dann - ich verstehe das
nicht - ohne daß irgendetwas passiert, werde ich zornig über
ihn. Ich werde so zornig, daß ich ihn weghaben möchte! Er stört
mich total. Ich will in Ruhe gelassen werden! Ich hasse ihn! - Ich kann
ihm das nicht zeigen. Er hat mir doch nichts getan. So versuche ich, meine
Gefühle zu unterdrücken. Aber es geht nicht. Ich ziehe mich
zurück. Es zerreißt mich." Sie seufzt.
Ich bin sehr hilflos, was ich davon
halten soll und ant worten soll. Ich sage : "Sprich deinen Mann an und
sage ihm jetzt, was du da fühlst und zu Hause nicht sagen konntest."
Sie zögert und fängt
unsicher an: "Du, ich will dich nicht" - zu mir - "aber ich will ihn doch."
Pause, Schluchzen, Weinen. "Ich will dich weg haben. Du sollst weg sein."
Ihr Körper beginnt sich zusammenzurollen und zu verdrehen. "Ich kann
dich nicht leiden. Geh weg. Komm nicht wieder." Dann beginnt ein Zucken
ihres Körpers.Ich sage: "Ja, du hast es gefunden, das ist es." Ihr
Weinen geht 10-15 Minuten weiter. Dann stellt sich eine erschöpfte
Ruhe ein.
Sie sagt: "Ich fühle es. Es
ist mein Zwillingsbruder! Er war immer vor mir. Er war immer da. Er war
der Erste. Er war mir im Weg, schon bei der Geburt! Ich wollte ihn weghaben.
Er war der Bevorzugte von Mutter und Vater. Immer war er der Bessere -
ich war die Dumme. Er war der Liebenswerte - ich war die, die zuviel war.
Ich mochte nicht leben. Ich war so unglücklich. Niemandem konnte
ich es zeigen."
Ich bekomme einen tränenverhangenen
Blick, während sie dies erzählt. Ich sehe Ihre Familie vor mir
und ein kleines, zorniges, hilfesuchendes Mädchen, das niemand versteht.
Es vergeht eine lange Zeit. Ich sage: "Gehe wieder in deine Gegenwart.
Gehe in dein Zu Hause und rede deinen Mann an."
Ihr Gesicht wird weich und entspannt
sich. Langsam und mit vielen Pausen spricht sie zu ihm: "Ich liebe dich...Ich
mag dich... Ich freue mich, daß du kommst... Ich habe manchmal schreckliche
Gefühle, die ich dir nicht sagen will...Ich brauche dich... Ich brauche
Frieden.... Jetzt ist es gut."
Janov nennt solches Nacherleben ein
Urerlebnis. Es kommt durch das Offenwerden in einem ruhigen therapeutischen
Prozeß in einem unterstützenden Beziehungsraum zu einer selbstgewählten
Zeit. Sein besonderes Kennzeichen sind die "Verbindungen", die verstehende
Verbundenheit der existentiellen Gegenwart mit den existentiellen Gefühlen
der Vergangenheit.
IV. Lebensschmerz
und Lebenslust
1. FINDERUFE UND VERLORENHEITSSCHREIE
In einer solchen therapeutischen Arbeit
suchen wir nach Bildern an der Wand dunkler Höhlen. Wir lauschen
nach den glücklichen Finderufe und den schmerzlichen Verlorenheitsschreien
noch sprachloser Welten. Wir suchen Lebensgebilde zu erspüren, wo
Drinnen und Draußen, Hell und Dunkel, Vorher und Nachher, Ich und
Du, Mein und Dein noch ungeschieden sind. In der Großen Mutter -der
allgegenwärtigen, allumfassenden- begegnen wir Leben und Da-Sein,
Tod und Nicht-Sein. Zwischen Grandiosität und Ohnmacht, zwischen
Paradies und Hölle, zwischen sehnsüchtigem Anspruch und bereitwilligem
Opfern - in Kommunikation oder Nicht-Kommunikation mit einem fühlenden
Du formt sich ein zartes, zerbrechliches Ich.
2. LEBENSSCHMERZ
UND LEBENSLUST
In den Lebensgestalten von frühem
Leid und Glück erkennen wir: Ein Ungeborenes wird zum Leiden geprägt
einmal durch physischen Schmerz und Todesgefahr und zum anderen, wenn
die Beziehung zur Mutter und zum Vater in Frage gestellt ist. Wenn das
Band unverbrüchlicher physicher und ununterbrochener psychischer
Zugehörigkeit beschädigt wird, geschieht ein Verrat des Kindes
und seine Verurteilung zum Leiden. Wenn dies Band durchtrennt wird, stirbt
es. Zugehörigkeit und Kommunikation andererseits bedeuten Lebenslust.
Sie sind Urteil zum Leben und zum Lieben.
3. GEDEIHEN
Hier am Anfang ist ein Raum, wo Leid
Folgen hat. Hier haben wir Menschen unser erstes Heim, wo wir gedeihen
oder verderben können. Im Dunkel des Beginns entwickelt sich unser
physisch-psychisches Ich. Es will ins Tageslicht einer Menschengemeinschaft
geboren werden und zu seiner eigentlichen Bestimmung wachsen: Mann oder
Frau zu werden in einer Gemeinschaft. Der Größe dieses ersten
Lebens- und Kommunikations-Raums sollten wir Achtung und Achtsamkeit schenken.
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